Der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Dr. Gerhard Schick spricht mit Investment Alternativen in einem seiner seltenen Interviews über Anlegerschutz, Finanzprodukte und die Notwendigkeit von Transparenz an den Finanzmärkten und in der Haushaltspolitik.

"Finanzminister Schäuble verkauft die Menschen für dumm."

Dr. Gerhard Schick

Der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen, Dr. Gerhard Schick spricht mit Investment Alternativen in einem seiner seltenen Interviews über Anlegerschutz, Finanzprodukte und die Notwendigkeit von Transparenz an den Finanzmärkten und in der Haushaltspolitik.

„Wir müssen die derzeitige Krise als Chance nutzen. Die derzeit international vorhandene Bereitschaft, die Finanzmärkte neu zu ordnen, muss jetzt energisch genutzt werden, um einen entscheidenden Schritt in Richtung des Ziels, die Globalisierung sozial und ökologisch zu gestalten, zu gehen.“, so ist auf der Homepage von Dr. Gerhard Schick, seit 2005 Mitglied der Deutschen Bundestages für Bündnis 90/ Die Grünen, zu lesen. In einem seiner seltenen Interviews steht er Thorsten Cmiel, Chefredakteur des Portals Investment Alternativen, Rede und Antwort.

Das gesamte Interview ist auch unter www.investment-alternativen.de nachzulesen.

Herr Dr. Schick, Sie haben am Tag des Schuldenschnitts von Griechenland in einem Positionspapier kein Wort darüber verloren, dass die Aktion für private Anleihegläubiger einen historisch hohen Rekordverlust darstellt. Unerwähnt bleiben der Zeitdruck und die katastrophale Informationslage. Wie wichtig ist Anlegerschutz für Sie und Ihre Fraktion?

Anleger- und Verbraucherschutz ist für mich einer meiner Arbeitsschwerpunkte. In ungezählten parlamentarischen Initiativen habe ich mich dafür eingesetzt, Anlegerschutz als Politikfeld überhaupt zu etablieren und institutionell zu verankern. Und wir sind noch lange nicht am Ziel. Noch immer gibt es viel zu viele Finanzprodukte, die völlig kostenintransparent sind. Noch immer gibt es Geschäftsmodelle, die darauf abzielen, asymmetrische Informationsverteilungen und Intransparenzen für den eigenen Vorteil erst zu erzeugen und dann auszunutzen. Und die Finanzaufsicht in Deutschland hat bis heute kein politisches Mandat, sich auch für den Schutz der Anleger stark zu machen. Dabei gehören Anlegerschutz und Stabilität an den Märkten zweifellos zusammen.

Prinzipiell – auch im Fall der Umschuldung Griechenlands – gilt aber folgendes: Wo eine Rendite, da auch ein Risiko, das letztlich vom Investor zu tragen ist, und das sich immer realisieren kann – im schlimmsten Fall eben auch im teilweisen oder sogar vollständigen Ausfall der Finanzanlage. Jede Rendite ist Spiegelbild eines Risikos. Das gilt für Kleinanleger wie für Profi-Investoren und Otto Normalverbraucher. Kein Risiko lässt sich vollständig eliminieren oder „hedgen“.

Richtig ist aber auch, dass die Bundesregierung zweitweise Unwahrheiten hinsichtlich der Umschuldung Griechenlands verbreitet hat. So wurde erst viel zu lange die Notwendigkeit einer Umschuldung geleugnet, und dann der falsche Eindruck vermittelt, die Beteiligung privater Gläubiger sei rein freiwilliger Natur. Mit derlei Kehrtwenden befördert die Bundesregierung das Misstrauen an den Märkten und unterminiert ihre eigene Glaubwürdigkeit massiv.

Bei der Umschuldungsaktion hieß es, dass die Anleger einem Schuldenschnitt von 53,5 Prozent zustimmen müssen. Finanzexperten der Banken haben die Konditionen untersucht und festgestellt, dass der Schuldenschnitt ungefähr zwischen 74 und 81 Prozent je nach Restlaufzeit der Anleihen beträgt. Entspricht das Ihrer Vorstellung von Transparenz am Finanzmarkt?

Beide Werte schließen sich nicht aus: Der eine Wert bezieht sich auf den Nominalwert, der andere auf den Barwert der Anleihe. Investoren sollten die unterschiedlichen Aussagen beider Werte kennen. Für mein Verständnis war für den aufgeklärten Investor die Kommunikation an dieser Stelle auch in Ordnung.

Das Geld kam nicht nur von Banken, die eine Art Durchlauferhitzer bei Staatspapieren sind, sondern auch von Lieschen Müller. Wenn man sich die Äußerungen in Berlin anhört, dann wird von allem die angebliche Renditegier privater Anleger kritisiert. Dabei waren die Zinsen über Jahre zu niedrig. Wie sehen Sie diesen Zusammenhang als Volkswirt und promovierter Finanzwissenschaftler?

Eine wesentliche Ursache für niedrige Zinsen in Griechenland war die Nullgewichtung von Staatsanleihen in der Bankenregulierung, also die Tatsache, dass Banken kein Eigenkapital für Staatsanleihen des Euro-Raums vorhalten müssen. Das förderte die falsche Einschätzung, Staatsanleihen als risikoloses Investment zu betrachten. Hinzu kamen institutionell-rechtliche Fehlkonstruktionen. So erwies sich die No-Bail-Out-Klausel in den europäischen Verträgen letztlich zu Recht als nicht glaubwürdig. Ich gebe Ihnen recht, die Zinsen auf griechische Staatsanleihen waren niedrig, angesichts des hohen Schuldenstands zu niedrig. Deswegen finden Sie von mir auch keine Äußerung in der Richtung, dass das Griechenland-Problem auf die Renditegier von privaten Anlegern zurückzuführen sei. Das wäre ökonomisch Quatsch.

Hätte ein privater Finanzinvestor Wertpapiere mit unrichtigen Angaben emittiert, wie das im Falle von Griechenland für die Vergangenheit inzwischen sicher zu sein scheint, dann würde er von internationalen Strafbehörden zu Recht verfolgt. Politiker dürfen solche Dinge offenbar ungestraft tun. Entspricht das Ihren Vorstellungen von Gerechtigkeit?

Nein. Allerdings bin ich weder Jurist noch Spezialist des griechischen Rechtssystems. Ich halte es auch für erforderlich, dass die Verantwortlichen in der Finanzkrise zur Rechenschaft gezogen werden. Das betrifft beispielsweise auch die Verantwortlichen bei der Investmentbank Goldman Sachs, die den griechischen Behörden bei den Bilanztricksereien zum griechischen Staatshaushalt behilflich waren und dabei auch Millionen verdienten.
Nicht nur griechische Politiker haben versagt. Die europäischen Partner und Europapolitiker haben bewusst oder unbewusst nicht genau hingeschaut. Wäre es nicht am symbolischen Tag eines Milliardenverlustes für private Anleger angemessen gewesen, auch diesen Aspekt hervorzuheben und Forderungen für mehr Transparenz aufzustellen?

Die europäische Statistikbehörde ist bereits bestärkt worden. Zusätzliche Transparenz im Finanzgebaren der öffentlichen Hand bleibt aber weiter nötig, übrigens nicht nur in Griechenland: Wenn ich an all die Schattenhaushalte in Bund, Ländern und Kommunen denke, ist das mit meinem Verständnis von Haushaltswahrheit und -klarheit jedenfalls nur schwer vereinbar.

Sie kritisieren, dass Kreditversicherungen, sogenannte CDS, Anlegern große Gewinne bescheren. Das hört sich gut an. Zum Abschluss solch eines CDS-Vertrages gehören immer zwei Partner: Der eine zahlt eine sehr hohe Prämie und der andere genießt für sein Finanzportfolio Sicherheit. Was ist daran zu kritisieren?

Wenn man das zugrundeliegende Wertpapier tatsächlich hat, sollte man sich gegen den Verlust auch absichern können. Was ich kritisiere, sind ungedeckte Kreditausfallversicherungen, bei denen der Sicherungskäufer das zugrunde liegende Wertpapier gar nicht besitzt. Denn dann kann es Fehlanreize geben: Man kann ja auch aus guten Gründen keine Brandschutzversicherung auf ein Haus seines Nachbarn kaufen und kassieren, wenn das Haus Feuer fängt.
Wichtig ist, dass Finanzprodukte nicht dazu führen, dass sich alle Marktteilnehmer ihre Risiken einfach wegrechnen können: Wenn Finanzprodukte dazu führen, dass am Ende weniger Kapital im Gesamtsystem vorhanden ist, als zur Absicherung der Risiken eigentlich erforderlich wäre, habe ich ein Problem damit. Das scheint mir mithilfe von CDS auch schon der Fall gewesen zu sein, zum Beispiel bei der AIG in den USA. Hinzu kommt: Die Existenz von CDS hat die erforderliche Umschuldung in Griechenland eher verkompliziert, erschwert und behindert. Unterm Strich schätze ich den Nutzen von CDS für Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt eher niedrig als hoch ein.

Wäre es nicht angebracht, beispielsweise aus Gründen der Transparenz, die Abwicklung von solchen Geschäften künftig über Börsen anzuordnen, statt schwammig „die“ Finanzmärkte als Feind auszurufen und dann nichts zu bewirken?

Ja, der Derivatehandel muss so weit wie möglich auf regulierte Handelsplätze überführt werden. Das ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass der derzeit gestörte Preisfindungsmechanismus zum Beispiel am Markt für Rohstoffe wieder besser funktioniert und Preise wieder ihre elementare Allokations- und Informationsfunktion ausüben können.

Sie dürfen kurz philosophieren: Wie stellen Sie sich das Funktionieren des Finanzmarktes im Idealfall und mit welchen Finanzprodukten vor?

Elementar für funktionierende Märkte ist das Haftungsprinzip. In weiten Teilbereichen des Finanzmarktes ist dieser Grundsatz aber außer Kraft gesetzt, zum Beispiel bei Banken, die „too big to fail“, also zu groß zum Scheitern, sind. Banken können dann Gewinne privatisieren, Verluste hingegen auf die Steuerzahler abschieben. Das ist unvereinbar mit einer Marktwirtschaft. Auch aus Investorensicht sind derzeit Chancen und Risiken wegen intransparenter Produkte noch zu oft ungleich zwischen Anbietern und Nachfragenden verteilt, ohne dass das Haftungsprinzip zu einem Ausgleich führen würde. Und das Prinzip der wahren Preise gilt in vielen Teilmärkten noch immer nur eingeschränkt: Mehr Transparenz beim Derivatehandel zum Beispiel ist deshalb richtig und dringend erforderlich. Eine Positivliste an Finanzprodukten finde ich allerdings problematisch. Zielführender ist es, intransparente oder aus Stabilitätssicht gefährliche Produkte gezielt aus dem Verkehr zu ziehen.

Sie sind als Mitglied des parlamentarischen Kontrollgremiums des Soffin Geheimnisträger. Warum überhaupt diese Geheimniskrämerei?

Das müssen Sie die Bundesregierung fragen. Für mich sind die meisten Informationen, die wir in diesem Gremium erhalten, nicht geheimhaltungsbedürftig. Ich habe den Eindruck, dass die Bundesregierung die Geheimhaltung oft vorschiebt, um öffentliche Debatten zu verhindern oder zu erschweren. Ich muss mich aber, wenn ich in diesem Gremium Informationen erhalte, der Einstufung der Bundesregierung beugen und die Informationen geheim halten, da ich mich ansonsten strafbar mache.

Sie kritisieren offen die Informationspolitik der Bundesregierung. Zuletzt wurde das Verlustvolumen der Hypo Real Estate durch Griechenbonds bekannt, das nach Ihren Angaben 8,2 Milliarden beträgt. Was sind Ihre Forderungen?

Ich verlange Ehrlichkeit hinsichtlich der Kosten bei den Bankenrettungen in Deutschland. Wenn Finanzminister Schäuble sagt, durch die Umschuldung seien noch keine Kosten für den Steuerzahler entstanden, verkauft er die Menschen für dumm. Die Verluste bei der Bad Bank der HRE sind definitiv da. Das soll dann auch ehrlich offengelegt werden. Und ich fordere eine Debatte darüber, wie diese Kosten finanziert werden und wer sie trägt.

Eine Frage an den Finanzwissenschaftler: Wäre es nach dem Gebot der Klarheit nicht notwendig, anfallende Verluste im Haushalt offen und für alle Bürger sichtbar auszuweisen?

Ja. Der Finanzmarktstabilisierungsfonds ist ein Schattenhaushalt und für mich mit den Prinzipien von Haushaltswahrheit und -klarheit nur schwer vereinbar. Die Frage der Klarheit beziehe ich auch auf die EZB: Die Rettung vor allem südeuropäischer Banken durch die Zentralbank mit Hilfen in Billionenhöhe zu Lasten höherer Risiken für die Steuerzahler muss für die Bürger nachvollziehbar sein.

Falls Ihre Partei nach der nächsten Bundestagswahl an einer Regierung beteiligt sein sollte, setzen Sie sich dann für mehr Transparenz beim Soffin ein?

Ja. Auch im internationalen Vergleich entspricht das, was der Öffentlichkeit an Informationen über den Soffin zur Verfügung steht, nicht dem erforderlichen Standard. Und viel zu viele Informationen, die eigentlich an die Öffentlichkeit gehören, werden zu Unrecht als geheim eingestuft. Der Steuerzahler hat ein Anrecht darauf zu erfahren, was mit seinen Mitteln geschieht. Dieses Recht würden wir im Falle einer Regierungsbeteiligung deutlich stärken.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Gerhard Schick führte Thorsten Cmiel, Chefredakteur von Investment Alternativen.

Anlass:
http://www.gerhardschick.net/index.php?option=com_content&task=view&id=895&Itemid=57

Hintergrundinformationen

Credit Default Swaps (CDS)
Ein CDS ist eine Art Kreditversicherung. Es handelt sich bei CDS um Verträge zwischen zwei Parteien. Der eine Partner, Versicherungsnehmer, sichert sein Wertpapierportfolio gegen Prämie gegen den Totalverlust ab. CDS sind over-the-counter-Derivate, die außerbörslich zum Beispiel zwischen Banken gehandelt werden. In der Griechenlandkrise stiegen die Zinsen für CDS-Kontrakte stark an.

Sonderfonds für Finanzmarktstabilisierung
Der SoFFin soll das Finanzsystem in Deutschland stabilisieren und das Vertrauen der Banken untereinander und das Vertrauen der Gesellschaft und der Wirtschaft in den Finanzsektor wiederherstellen. Der SoFFin diente der unmittelbaren Rettung von Bankinstituten und konnte Garantien in Höhe von 400 Milliarden Euro aussprechen. Seit Ende 2010 vergibt der Fonds keine neuen Mittel mehr. Der Fonds wird von der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) verwaltet. Zum Jahresende 2010 hatte die FMSA insgesamt 63,63 Milliarden Euro an Garantien gewährt und Kapitalmaßnahmen in Höhe von 29,28 Milliarden Euro ausgezahlt.

Quelle: http://www.fmsa.de

Der Abdruck ist bei Nennung der Quelle frei.

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